Ausfahrt in ein neues Leben Dietmar Thurau ist mit seinem Gleitschirm im Schwarzwald abgestürzt und wird nie wieder laufen können. Aber Autofahren, das hat er wieder gelernt: Mit einem Fahrschulwagen, der speziell für Querschnittsgelähmte umgerüstet wurde. Die Prüfung beim TÜV hat er mit links bestanden.
Das Bernauer Hochtal im Schwarzwald. Didi fliegt heute nur nicht besonders weit, nur die
400 Höhenmeter vom Start rüber zum Landeplatz. Still schwebt er mit seinem Gleitschirm
durch die Luft, nichts als den Klang des Windes in den Ohren und ab und zu das entfernte
Geräusch eines Autos. Die kleinen Häuser unten im Tal und die Wanderer auf ihren Pfaden.
In der Ferne das mächtige Panorama der Alpen. Das Jahr hat gerade erst angefangen, es ist
der 31. Januar. Die Luft ist klar. Die Welt von oben. Ein erhabenes Gefühl.
Didi, Dietmar Thurau, trägt einen Overall und Handschuhe gegen die Kälte. Die Thermik, der
warme Aufwind, den alle Flieger nutzen, ist heute nicht sehr ergiebig. Didi hätte den
Briefkasten am Haus anbringen können, das hatte er eigentlich vor. Aber lieber wollte der
heute 44-Jährige raus, an diesem Mittag. Nur kurz.
Didi hätte es bei dem geplanten kurzen Flug belassen können. Aber einer der fliegt, will
höher, und wenn die Thermik kommt, dann muss der Flieger mit. Wenn es weit genug nach
oben geht, kann man den ganzen Schluchsee überblicken. Die Kuppel des mächtigen Doms in
St. Blasien sehen. Von ganz oben sieht man sogar bis ins Rheintal.
Die Thermik kommt. Und Didi steigt auf. Noch ein paar Minuten, noch ein paar Meter. Er
will nur einmal den Hang entlang und wieder zurück. Aber aus dem Zurück wird nichts mehr.
Eine Bö lässt den Aufwind abreißen, der Schirm klappt zur Hälfte ein, taumelt, öffnet sich
wieder und nimmt mit einer solchen Wucht wieder Fahrt auf, dass Didi die Kontrolle verliert.
Der Schirm stürzt, Didi stürzt, Didi, der seit 16 Jahren fliegt und genau weiß, was nun zu tun
wäre, um den Schirm wieder in die richtige Position zu bringen. Aber da ist schon der Boden.
Nach dem Sturz sei er noch zweimal geflogen, sagt Didi und lächelt schief.
Heftig schlägt er auf, heftig und dumpf, rückwärts auf den von Restschnee bedeckten
Wiesenhang. Im Liegen rafft er, so schnell es geht, den roten und blauen und weißen
Nylonstoff zusammen. Dass kein Wind ihn erfassen und über die Wiese schleifen kann. Spürt,
als er sich bewegt, einen irren, einen brutalen Schmerz im Rücken. Seine Beine fühlt er nicht.
Diese eine Steigung. Wäre das ganze weiter oben passiert, hätte Didi sich gefangen, wäre von
dem Ganzen nicht mehr geblieben als eine Anekdote abends beim Essen.
Wäre, hätte. Den quälenden Konjunktiv hat er sich nach den ersten Wochen im Krankenhaus
abgewöhnt. „Ich will leben. Und ich will weitermachen.“ Didi ist leicht, gelenkig und stark –
ein Segen, wenn man im Rollstuhl sitzt. Trotzdem wird jede steile Straße zur
Herausforderung. Das Überwinden eines Kantsteins zum Kunststück. Aber Didi ist ehrgeizig.
Stolz, wenn er einen der vielen, kleinen Schritte zurück in die Normalität geschafft hat. „Man
entwickelt Wahnsinnskräfte“, sagt er.
Wenn Didi wieder zuhause ist, will er vor allem raus, in die Natur. „Wieder durch die Berge
düsen, wie vor meinem Unfall. Aber abseits der Wege, das kann ich nun nicht mehr.“
Nach dem Sturz sei er noch zweimal geflogen, sagt Didi und lächelt schief. Mit dem
Hubschrauber. Für die Operationen nach Freiburg, dann nach Tübingen zur
Weiterbehandlung. Zentimeterlange Schrauben drehten Ärzte ihm in die Wirbelsäule,
befestigten ein Titangestell das den zertrümmerten ersten Lendenwirbel und zwei zerstörte
Bandscheiben ersetzen soll. Sägten ein Stück aus seinem Beckenknochen, um die Wirbelsäule
damit zusätzlich zu stabilisieren. Verschrieben ihm Morphin gegen die Schmerzen, erst 40,
Anfangs war er nur von den Knien abwärts gelähmt, dann stieg die Lähmung, jeden Tag ein
paar Zentimeter. Bis kurz überm Bachnabel endlich Schluss war. Didis Oberschenkel
schlackern weich unter dem Stoff seiner Jogginghose. Da war mal mehr. Vier Monate lang
musste er in der Tübinger Unfallklinik das Leben neu lernen. Gelähmt sind nicht nur die
Beine: Der Darm ist träge und ständig verstopft. Um seine Blase zu leeren, muss er einen
Katheder hinein schieben, in seinem Bad steht ein ganzer Karton davon. „Die elf
Geschlechtsorgane des Paraplegikers?“, hat ihn einmal ein Leidensgenosse gefragt. Didi hat
sofort verstanden. Hat alle zehn Finger hochgehalten und die Zunge rausgestreckt. Keine
Erektion seit dem Unfall, trotz Viagra, Levitra, Cialis.
Die Bremse hängt fest. Didi zerrt daran herum. Beim dritten Versuch klappt es, und er fährt
los. Nur die linke Hand lenkt, umgreift einen Halteknauf am Steuer. Die andere Hand braucht
Didi, um die Füße zu ersetzen: Ein Hebel zum Bremsen und Gasgeben ist rechts vom Lenkrad
angebracht. Er drückt ihn nach unten, das Auto fährt los. Zum Bremsen schiebt er denselben
Hebel nach vorn. Auf der Rückbank sitzt ein Mitarbeiter vom TÜV Süd. Er hat einen
schwarzen Hartschalenkoffer dabei, den er auf der Fahrt als Schreibtisch benutzt.
Didis blasses Gesicht. Oben auf dem Kopf sitzt ein Käppi, am Kinn trägt er ein Bärtchen. Er
sieht müde aus, wie so oft in letzter Zeit. Feine Linien ziehen sich über seine Wangen.
Konzentriert blickt er geradeaus. Fotos aus Didis früherem Leben zeigen ihn lachend und
sonnengebräunt. Mit seiner Freundin hat er im Dezember ein Häuschen in Weilheim im
Südschwarzwald gemietet. Die Küche hat er noch selbst eingebaut. Auf einem Bild ist der
Garten zu sehen: Holzscheite und eine Axt.
Zwei Tage noch, dann wird er aus der Unfallklinik entlassen. Vorsichtig kurvt Didi durch das
Tübinger Gewerbegebiet. Seinen Führerschein hat er längst. Aber er muss dem TÜV
vorführen, dass er auch jetzt Auto fahren kann.
Seine linke Hand krallt sich um den Lenkerknauf, die Knöchel treten hervor. Christian Eder,
der Fahrlehrer, beugt sich zu ihm, knufft ihn in den Arm. Großzügig strahlen die Lachfalten
um seine blauen Augen. Didi blinkt, biegt links ab und verlässt das Gewerbegebiet in
„Kennen sie den Ikarus-Man?“, fragt ihn der Fahrlehrer. Didi nickt: „Ja, ja, der Toni Bender.
In den Dolomiten ist der gegen 'ne Wand geklatscht. Hat sich sage und schreibe fünfzig
Knochen gebrochen. Und läuft noch. Bei mir ist nur einen Knochen kaputt, und ich sitz im
Der Mann vom TÜV beugt sich vor zum Fahrlehrer: „Herr Eder, was macht denn der
Seniorchef?“ – „Der hat’s ganz gelassen. Er ist jetzt Enkelbetreuer.“ – „Ja, das hat er sich
Christian Eder Senior, Eders Vater und der Gründer der Behinderten-Fahrschule, wurde mit
31 Jahren von einem betrunkenen Lastwagenfahrer überrollt. Sein linker Arm baumelt
seitdem nutzlos von der Schulter. Die Ärzte sagten ihm damals, er würde nie wieder Auto
fahren. Er fuhr, und er gründete die Fahrschule. Die Klinik, in der er damals elf Monate
verbrachte, schickt ihm seitdem einen Patienten nach dem anderen. Seine Geschichte hat er
vielen seiner Schüler erzählt, um ihnen Mut zu machen. Der letzte, bevor er mit achtzig
Jahren in den Ruhestand ging, war Didi Thurau. Zwei Fahrstunden hat er Didi gegeben, bevor
für dessen letzte Unterrichtsstunde und die Fahrprüfung der Sohn übernahm.
Didi fährt durch den Tübinger Vorort Lustnau, an den hügeligen Straßen ruhen
Einfamilienhäuser. Er biegt ab in Richtung Innenstadt. Eine blonde Frau im Sommerkleid
radelt über das Kopfsteinpflaster. Der Himmel strahlt. Didis Hand fasst den Knauf etwas
lockerer. Die Landstraße führt hinauf nach Pfrondorf, dem äußersten Rand Tübingens. Im
Osten ragt die Schwäbische Alb in den Dunst. Dann senken sich die sanften Serpentinen
wieder talwärts. Vor Didi taucht ein Radfahrer im gelben Trikot auf. Als die Kurven weiter
werden, fährt er bis auf wenige Meter heran, gibt energisch Gas und überholt. Die Straße ist
wieder frei. Der Prüfer schaut auf seine große, silberne Armbanduhr und dirigiert Didi wieder
Das Schwierigste am Autofahren hat sich der Kontrolleur gar nicht angesehen: Das Ein- und Aussteigen.
In seinem alten Leben war Didi Lokomotivführer in einem Regionalzug, Sieben Jahre lang ist
er auf der Strecke Basel – Singen hin und hergefahren. Er hat den Job geliebt. Aber ein
Lokführer muss aussteigen, um per Hand Weichen zu stellen, und er muss zur Not den Zug
evakuieren können. Das geht nicht mehr. „Ich kann mir ja nicht mal selber helfen.“ Vielleicht
bietet die Bahn ihm als Ersatz einen Bürojob an. Aber lieber will Didi wieder unterwegs sein.
Er will Bahnhöfe auf ihre Rollstuhltauglichkeit testen. Eine Anfrage hat er schon gestellt.
Man ist interessiert, aber so schnell wird bei der Bahn kein neuer Job erfunden.
Zurück auf dem Parkplatz geht der Prüfer seine Notizen durch. „Brauchen Sie eine
Standheizung?“ – „Die ist nicht wichtig.“ Didi will kein behindertengerechtes Leben. Der
Mann vom TÜV schreibt die Heizung trotzdem auf. Weil er nicht glaubt, dass Didi Eis
kratzen kann im Winter. Aber Didi schafft, was er erreichen will. Meistens. Als er ein Kind
war, hat sich Flügel aus Brettern und Folie gebaut. „Und dann den Abhang runter. Ist alles zu
Es ist ein guter Tag für Didi. Seinen Führerschein darf er behalten. Der TÜV-Angestellte wird
in seinem Bericht die Hilfsmittel aufzählen, die in Didis Führerschein eingetragen werden:
Servolenkung mit Drehknauf, Automatikgetriebe mit einem Handgerät zum Gasgeben und
Bremsen und Knöpfe am Lenkrad zum Bedienen des Scheibenwischers, der Hupe und der
Lichtanlage. An den Umbauten, die zwischen 10 000 und 15 000 Euro kosten, beteiligt sich
die Rentenkasse, sobald Didi wieder arbeiten geht.
Das Schwierigste am Autofahren hat sich der Kontrolleur gar nicht angesehen: Das Ein- und
Aussteigen. Wieder an der Klinik angekommen, stellt Christian Eder den Rollstuhl neben den
Fahrersitz. Didi rutscht ganz nach links, hebt die schweren Beine aus dem Wagen und stützt
sich mit der linken Hand am Rollstuhl ab. Er zieht den Kopf ein und setzt mit einem Schwung
über. Er sitzt. Und lächelt. Er hat das viele Male geübt. Auch den Rollstuhl bekommt er ohne
Hilfe ins Auto und wieder heraus: Stück für Stück kann er ihn auseinanderbauen und hinter
Dass er noch Auto fahren darf, bedeutet ihm viel. „Aber ich wär’ notfalls auch
schwarzgefahren“, sagt er, als der Prüfer weg ist. „So ein Handgerät, das kriegt man doch
überall.“ Er lacht und strahlt über das ganze Gesicht. Fast wie früher.
Wenn er zuhause ist und sein eigenes Auto hat, will Didi als erstes seine Freunde in der
Krunkelbachhütte in Bernau besuchen. Bei Westwind, das weiß er, da trifft er sie alle wieder.
Zum Startplatz. Ein Bier trinken. Und zuschauen, wie sie alle fliegen.
Erschienen im Schwäbischen Tagblatt am 3.1.2008
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